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Gebrauchsspuren?

Eine Verwendung von ohne menschliches Zutun entstandenen Geweihfragmenten ist denkbar. Daher wurden die möglichen Funktionsenden der Geweihfunde auf Spuren von Gebrauch untersucht. Diese Untersuchung wurde mit Hilfe eines Binokulars bei 20- facher Vergrößerung und schräg einfallendem Auflicht durchgeführt. Als mögliche Arbeitsenden von Geweihfragmenten wurden: die Abwurfflächen der Rosen, die den schädelechten Geweihfragmenten anhaftenden Schädelreste, die Sproßspitzen, die distalen Bruchstellen von Sproßfragmenten, sowie die Oberflächen der Stangen, insbesondere der unteren Stangen, aufgefaßt. Aussplitterung, Facettierung, Glättung und gerichtete Kratzer und Schrammen entlang möglicher Funktionsenden eines Geweihfragmentes könnten dessen Gebrauch anzeigen. Zur weiteren Einordnung von Spuren am Bilzingslebener Material dienten experimentell erzeugte Gebrauchsspuren als Vergleichsbasis.

Auf den Geweihoberflächen der Stangen konnten Spuren beobachtet werden, wie sie auf den Geweihoberflächen durch Hirschaktivitäten erzeugt werden können (Olsen 1989). Kratzergruppen, welche durch Bewegungen des sandigen Sedimentes entstanden sind oft kaum von Spuren zu unterscheiden, die durch Hirschaktivitäten auf den Stangenoberflächen entstanden. Verschiedene Kratzerarten, die durch Sedimentbewegungen entstanden, befinden sich auf 86,9% der Geweihfunde. 23,3% davon sind unilateral, an eine Seite des Geweihes gebunden, diese Stücke wurden überwiegend (75% von ihnen) während der Ausgrabung mit den zerkratzten Seiten nach oben liegend angetroffen. 52% der unilateral zerkratzten Oberflächen sind ferner mit unilateral abradierten Oberflächen verknüpft. 76,7% von Kratzern auf den Geweihoberflächen sind nicht an eine Geweihseite gebunden. Andererseits kann bei diesen Stücken nicht von einer rundum gleichmäßigen Verteilung der Kratzer gesprochen werden, sondern diese Kratzer sind zweiseitig, auf den medialen und lateralen Seiten angeordnet.

figure 33
Abb. 33: Bruchstelle an einem distalen Geweihsproßende.

In der Literatur (Mania 1986b) wurden "Aussplitterungen" der distalen Geweihsproßenden als häufig vorkommende Gebrauchsspuren genannt. Dieses Phänomen (Abb. 33) kann jedoch eindeutig als reine Bruchform identifiziert werden, es ist keine Gebrauchsspur. Sproßspitzen (Tab. 7), sowie die distalen Brüche der Geweihsprosse tragen keine beweisbaren Gebrauchsspuren.

HirschaktivitätenOhne SpurenModerne BeschädigungenAndere / Hominiden?
Isolierte Sproßspitzen27.4%51.8%20.8%-
Isolierte Sproßspitzen, terminal gebrochen7.5%59.8% 31.5%0.6%
isolierte Sproßspitzen von Aug- Eis- und Mittelsprossen38.1%42.6% 23.8%-
Isolierte Sproßspitzen von Aug- Eis- und Mittelsprossen, terminal gebrochen-62.5% 37.5%-
isolierte Kronensprosse32.7%47.3%20% -
isolierte Kronensprosse, terminal gebrochen15.4%53.8% 26.9%3.8%
Sproßspitzen von Aug- Eis- und Mittelsprossen, die Stangenelementen ansitzen 18.5%37%44.4%-
Kronensprosse, die Stangenelementen ansitzen13.8%44.8% 41,4 %-
Tab. 7 Geweihsprossen und Sprosselemente.

Als Ausnahme zur Regel kommen im Bilzingslebener Geweihmaterial 4 Geweihsproßfragmente vor, die distal einen oder mehrere Kratzer aufweisen, welche die distalen Bruchstellen schneiden. Diese Spuren könnten auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen sein, insbesondere auf Grabtätigkeiten in sandigem Sediment (Abb. 34).

figure 34
Abb. 34: Experimentell durch Graben in sandigem Sediment auf einer Sproßspitze produzierte Gebrauchsspuren.

Die Schädelfragmente der schädelechten Geweihe lassen keinerlei Gebrauchsspuren erkennen. Auch Facettierungen oder Hackspuren sind an allen diesen Funden nicht erkennbar. Darüberhinaus weisen nahzu alle diese Funde die Eigenart auf, daß die Schädel entlang der medialen, lateralen und posterioren Nähte desintegrierten. Entlang dieser Leitlinien sind keinerlei Spuren des Gebrauchs oder der intentionellen Zerlegung erkennbar.

Die Abwurfflächen der Rosen von Abwurfstangen sind nahezu durchweg ohne jedes Anzeichen für einen Gebrauch dieser Flächen. Eine Abwurffläche aber zeigt als Ausnahme zur Regel (Abb. 35) eine zerstörte Abwurffläche, welche möglicherweise auf eine Funktion dieses Stückes als Geweihhammer hindeutet. Residuen wurden in der beanspruchten Zone nicht angetroffen.

figure 35
Abb. 35: Mögliche Gebrauchsspuren auf einer Abwurffläche.

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© Internet Archaeology URL: http://intarch.ac.uk/journal/issue8/vollbrecht/deu/9.html
Last updated: Wed Sep 20 2000