Eine vorläufige taxonomische Bestimmung des Cervidenmaterials aus Bilzingsleben wurde von D. Mania (1991b) publiziert. Weitere taxonomische Beobachtungen wurden während der durchgeführten Untersuchungen am Geweihmaterial vom Autor gemacht. Das Geweihmaterial wird deutlich dominiert von Geweihen des kronenbildenden Cervus elaphus. Nur wenige Geweihfunde gehören zu anderen Cerviden: 4 Geweihfragmente (150/216; 187/150; 262/20; 76/19) gehören zu Capreolus sp. Einige Geweihbasen (106/299; 106/300; 118/41; 14/37; 149/151; 153/B3; 176/60; 186/39; 198/66; 198/70; 437/2; 438/13; 77/B3; 83/B2) weisen Merkmale auf, die dieses Material als zu Dama sp. gehörig ausweisen könnten. Nach freundlicher Mitteilung von H.- D. Kahlke (Weimar), dem die Stücke zur Begutachtung vorgelegt wurden, kann jedoch die Existenz von Dama sp. aufgrund der genannten Geweihfragmente im Bilzingslebener Material nicht als gesichert angesehen werden. Sicher im Material vorhanden ist jedoch (Bestimmung durch H.- D. Kahlke, Weimar) ein rechtes Augsproßfragment (Abb. 2) von Megaceros (?ssp.) giganteus (172/282).Der Riesenhirsch war bisher in Bilzingsleben nicht nachgewiesen (Überblick über die Fauna von Bilzingsleben in: Mania 1991b).
Abb. 2: Rechtes Augsproßfragment von Megaceros(?ssp.) giganteus.
2820 Geweihfunde wurden aus dem gesamten Fundmaterial der Ausgrabungen 1969 - 1993 isoliert. Da das Geweihmaterial stark fragmentiert ist, wurde eine detaillierte morphologische Beschreibung jedes Fundes angestrebt. Die Beschreibung erfolgte anhand einer Unterteilung eines Rothirschgeweihes in etwa 80 Elemente und Elementfragmente. Jedes unterschiedene Element oder Elementfragment wurde mit einer Codenummer bezeichnet (Abb. 3a, 3b und Tab.1).
Abb. 3a (l), 3b (r): Unterteilung eines Rothirschgeweihes. Erklärung der Codenummern in Tab. 1).
Auf der Grundlage dieser Unterteilung ist jeder Geweihfund als einzelnes Element oder als Summe von Elementen beschreibbar. Besonders größere Geweihfunde lassen sich auf diese Weise genau beschreiben, kleinere Funde sind hingegen oft nur allgemein beschreibbar. Da die Kronenbildung bei Rothirschen sehr variabel ist, umfaßt das Beschreibungssystem eine größere Anzahl von unterschiedenen Kronenelementen. Es werden z.B. die Kronengabeln aus verschiedenen Positionen im Geweih unterschieden. Isolierte Funde von Kronensprossen oder Kronensproßfragmenten im Geweihmaterial können Überwiegend nicht in ihrer exakten morphologischen Position beschrieben werden. Daher wurden auch allgemeine Kategorien, wie z.B. "Kronensproß" (crown tine) " in die Liste der unterschiedenen Elemente und Elementefragmente (Tab. 1) aufgenommen. Auf die Verwendung eines weniger differenzierten Klassifikationssystems wurde verzichtet, da z. B. größere Kronenelemente sehr gut mit Hilfe des Systemes beschrieben werden können. Anhand einer allgemeinen morphologischen Beschreibung des Geweihmaterials (Tab. 2) soll aber zunächst der fragmentarische Charakter der einzelnen Funde verdeutlicht werden.
Sproßmaterial hat den weitaus größten Anteil (66, 8%) am Gesamtmaterial. Dazu kommen 12,5% nicht näher bestimmbare Geweihkortexfragmente. 20,6% des Materials sind Geweihstangen und Geweihstangenfragmente, hiervon sind 73,8% aus dem Bereich der unteren Stangen und 20, 06% aus dem Bereich der oberen Stangen, sowie ein geringer Rest nicht näher identifizierbarer Stangenfragmente. Zunächst fällt ein deutlich häufigeres Vorkommen von Stangenfragmenten aus dem Bereich der unteren Stangen, im Verhältnis zu den Fragmenten von den oberen Stangen auf. Das genauere Aussehen jedes Fundes wurde auf der Grundlage der dargelegten morphologischen Klassifikation (Abb. 3; Tab. 1) detailliert beschrieben (zu Datenbank). Die daraus abgelesene Auszählung aller Elemente erhellt das Mißverhältnis zwischen unteren und oberen Stangen weiter (Abb. 4): Es läßt sich ein kontinuierlicher Rückgang der Elementeanzahlen beobachten, je höher man im Geweih kommt.
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Abb. 4: Die Verhältnisse erwarteter und tatsächlich vorhandener Stangenelemente.
Mit Erreichen des Mittelsproßbereiches der Stangen bleiben die Elementeanzahlen dann in etwa konstant. Die separate Zählung von Elementen aus Elementesummen und isolierten Elementen (Tab. 3) zeigt, daß für alle ausgegliederten Teilbereiche die Anzahlen der isolierten Elemente gleichbleibend niedrig sind. Funde, die dem Bereich der Geweihbasen und unteren Stangen (sowohl schädelechte als auch Abwurfstangen) zugehören weisen sehr variable Formen auf.
Tab. 3: Separate Zälung von Elementen aus Elementensummen und isolierten Elementen.
Elementesumme | isoliert | |
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Kronenbereich | 0.07% | 4.3% |
proximale obere Stangen | 0.07% | 2% |
Mittelsproßbereich | 0.7% | 3.1% |
distale distale untere Stangen | 6.8% | 2.5% |
proximale distale untere Stangen | 12.7% | 3.7% |
Eissproßbereich | 14.4% | 2% |
Augsproßbereich | 20.1% | 2.2% |
Rosen- und Rosenstockbereich | 21.7% | 4.3% |
Schließlich stellt sich die Frage nach der theoretisch und praktisch nachweisbaren Zusammengehörigkeit des Materials aus dem Stangenbereich mit jenem aus dem Sproßbereich. Der praktische Nachweis wurde anhand von Zusammenpassungen geführt. Für einen theoretischen Nachweis wurden die distalen Bruchstellen von Sproßelementen als die zu erwartende Anzahl von proximalen Bruchstellen der korrespondierenden Sproßbereiche aufgefaßt. Sie wurden mit der Anzahl der tatsächlich vorhandenen proximalen Bruchstellen der Geweihsprosse verglichen. Für alle Sproßbereiche gilt, daß die Verhältnisse zwischen vorhandenen (proximale Bruchstellen) und erwarteten (distale Bruchstellen) Elemente durch eine Überrepräsentanz der vorhandenen Elemente gekennzeichnet sind. Insgesamt wurden 476 proximale Bruchstellen gezählt, für die im ausgegrabenen Material keine korrespondierenden distalen Bruchstellen vorliegen (Abb. 5).
Abb. 5:Verhältnis zwischen erwarteten und vorhandenen Sproßelementen.
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URL: http://intarch.ac.uk/journal/issue8/vollbrecht/deu/4.html
Last updated: Wed Sep 20 2000